IndustrieInsekten
In einem unbekannten Land
17.5. – 15.10.2023
Hier verbinden sich zwei scheinbar unterschiedliche Bereiche: die von Menschen geschaffene Schwerindustrie mit ihren riesigen Anlagen und die winzigen Lebewesen, die wir eher mit unberührter Natur in Verbindung bringen. Doch bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass diese beiden Themen eng miteinander verflochten sind.
Die Erforschung der "Industrienatur" hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen, insbesondere nach dem Niedergang der Schwerindustrie im Ruhrgebiet und dem damit einhergehenden Strukturwandel. Dennoch bleiben Insekten oft unbemerkt, obwohl wir wissen, dass wir unsere Welt gemeinsam nutzen.
Insekten sind faszinierend. Ihre Lebensräume sind ebenso vielfältig wie ihr Erscheinungsbild und ihre Fähigkeiten. Doch die Population geht seit vielen Jahren immer stärker zurück. Sowohl die Biomasse als auch die Artenvielfalt sind daher bedroht.
Doch wieso sind Insekten eigentlich wichtig? Was können sie und warum? Und welche Arten sind überhaupt an den LWL-Museen für Industriekultur heimisch?
Diesen und weiteren Fragen widmeten sich die Ausstellung „IndustrieInsekten“ im LWL-Museum Henrichshütte in Hattingen und dieses Digitelling.
Willkommen in einem unbekannten Land...
Ute Matzkows und Klaus Rieboldt nahmen uns dabei mit in einen oftmals unbeachteten Mikrokosmos und zeigten die Schönheit sowie Vielfalt der Insekten im Lebensraum Industriebrache. Die beiden Fotograf:innen haben an allen acht LWL-Museen für Industriekultur in Westfalen Insekten aufgespürt und faszinierende Aufnahmen erstellt. So konnten wir ihnen auf Augenhöhe begegnen und ganz nah kommen.
Gefördert durch:
Industrie und Insekten?
Wieso wir uns mit Insekten beschäftigen (sollten)
Die LWL-Museen für Industriekultur bieten einen idealen Rahmen, um sich mit dem Insektensterben und der Biodiversität auseinanderzusetzen. Durch ihre kulturelle Arbeit erhalten sie ehemalige Industrieflächen und machen sie für neue Zwecke zugänglich. Museen, Gastronomie und Freizeitangebote ersetzen die Schwerindustrie und füllen die Industriebrachen mit Leben. Verschiedene Veranstaltungen beleben die Räume und vermitteln auf vielfältige Weise das Wissen über die Geschichte der Industrie.
Neben der Kultur spielt auch die Natur eine veränderte Rolle. Was einst von der Industrie überformt wurde, erobert sich nun, wenn auch in anderer Form, die Industriebrachen zurück. Die Natur lässt sich nicht verdrängen und zeigt ihre Präsenz. Während die imposanten Industriebauten das Ruhrgebiet prägen, vergessen wir oft, dass unter unseren Füßen eine ganz andere Welt existiert. Die Fotografien von Ute Matzkows und Klaus Rieboldt ermöglichten einen Perspektivwechsel und einen neuen Blick auf Insekten. Über vier Jahre hinweg haben sie Insekten in ihrem natürlichen Lebensraum aufgespürt, in Szene gesetzt und somit das Herzstück des Projekts "IndustrieInsekten" geschaffen. Diese Werke wurden im Rahmen der Ausstellung und dieses Digitellings präsentiert.
Ute Matzkows
"Fast märchenhaft mutet die Insektenwelt an, wendet man sich den Blüten zu. Margeriten strecken wie markierte Landeplätze ihre Blütenkelche in die Höhe. Die sommerlichen Doldenblütler sind anscheinend für alles, was Flügel hat, Labsal und Treffpunkt zugleich und in den Lippenblüten vieler Wildblumen krabbeln Hummeln und Bienen mit leisem Brummen, sammeln Nektar und Pollen, bestäuben und sorgen so für Früchte und Samen und neues pflanzliches Leben. Dieser Teil der Insektenwelt ist uns Menschen wohl der nächste. Die Schönheit berührt unser Herz und macht uns auch bewusst, wie sehr unser Dasein von den kostenlosen Dienstleistungen dieser faszinierenden Wesen abhängt."
Klaus Rieboldt
"Seit ich mich erinnern kann, haben Insekten mit ihren schillernden Farben und skurrilen Formen eine besondere Faszination auf mich ausgeübt. Weil mir meine Fragen nach den Namen und Lebensweisen dieser Krabbeltiere niemand beantworten konnte, legte ich mir schon in frühester Jugend mein erstes Bestimmungsbuch zu. So erfuhr ich, dass mein Lieblingsschmetterling, den ich im Sommer praktisch in jedem Park und jedem Garten in großer Anzahl beobachten konnte, Kleiner Fuchs hieß. Erst als mir über die Jahre das Fehlen dieses Schmetterlings in der Natur auffiel, bemerkte ich, dass sich tatsächlich auch die Vielfalt anderer Insektenarten und deren Anzahlen verringert hatten. Dies weckte in mir das Bedürfnis, die schönsten der noch vorhandenen Insekten auf Fotografien festzuhalten."
Die LWL-Museen für Industriekultur mit ihren typischen Insekten
So unterschiedlich wie Westfalen-Lippe ist auch die heimische Natur mit ihren Lebewesen. Die acht LWL-Museen für Industriekultur bieten den Insekten verschiedene Lebensräume. So siedeln auf den Industriebrachen echte Spezialisten genauso wie häufig vorkommende Arten.
Kategorisiert in drei verschiedene Lebensräume werden diese Insekten hier näher vorgestellt.
Was ist ein Insekt?
In der Systematik beschäftigen sich Wissenschaftler:innen damit, Ordnung in das Chaos der Artenvielfalt zu bringen. Dabei wird vor allem auf Gemeinsamkeiten in der Entwicklung von Merkmalen geachtet. Der Stammbaum bildet die Evolution der Insekten vom Anfang bis heute ab. Jeder Ast kann als ein Merkmal betrachtet werden, das dann alle Nachfahren teilen. Alle flügeltragenden Insekten sind beispielsweise Nachfahren des „ersten“ Fliegers und werden in der Gruppe der Pterygota (Fluginsekten) zusammengefasst.
Laufen, Fühlen, Fliegen
Extremitäten sind durch Muskeln bewegbare Glieder. Beim Menschen sind es die Arme und Beine. Insekten haben hingegen sechs Beine, bewegliche Mundwerkzeuge und Antennen sowie Anhänge am Hinterleib. Diese können verschiedene Funktionen haben, etwa als Zangen, zum Fühlen oder zur Paarung. Die Flügel der Insekten sind streng genommen keine Extremitäten, da diese von der Körperoberfläche aus gebildet werden.
Sehen, Fressen, Tasten
Am Kopf der Insekten befinden sich die Augen, Fühler und Mundwerkzeuge. Das sogenannte „Facettenauge“ besteht aus vielen kleinen Einzelaugen. Während im Boden lebende Insekten wenige Augen besitzen, haben fliegende Libellen bis zu 30.000. Die Fühler („Antennen“) können extrem unterschiedlich aussehen. Die Grundlage bilden aber immer bewegliche, einzelne Glieder. Insekten können mit ihnen tasten, kilometerweit riechen oder beinah unmerkliche Schwingungen wahrnehmen.
Bewegen, Steuern, Atmen
Insekten haben viele Gehirne. Wie an einer Strickleiter ziehen sie sich durch den Körper. So gibt es ein Gehirn, das den Mund steuert, eines für die Flügel und jedes Beinpaar sowie eines für die Geschlechtsorgane. Insekten haben keine Knochen, sondern eine stabile äußere Hülle, das Exoskelett. Die Haut besteht dabei aus mehreren Schichten und bildet so einen Panzer aus Chitin. Diese Rüstung ist zugleich hart aber beweglich. Insekten haben keinen geschlossenen Blutkreislauf. Die Körperflüssigkeit umfließt die inneren Organe. Dazu atmen sie über ein System aus luftgefüllten Röhren.
Eine Welt ohne Insekten
Immer mehr Insekten sterben aus. Das zeigt ein Blick auf die Biomasse, also der gewogenen Menge an Sechsbeinern. Aber auch die Artenvielfalt geht zurück. Alleine in Deutschland gibt es aktuell 33.000 verschiedene Arten von Insekten. Davon steht jede zweite Insektenart auf der „Roten Liste“. Diese informiert darüber, welche Arten gefährdet und somit vom Aussterben bedroht sind.
Na und?
Insekten sind lästig! Wespen stechen uns, Mücken summen nachts, Käfer sind eklig. Bienen sollen Honig machen! Was machen die sonst schon für uns? Insekten sind wichtig! Sie dienen als Nahrung für Frösche, Vögel und Fische. Sie bestäuben in Deutschland Pflanzen im Wert von 3,8 Milliarden Euro pro Jahr. Sie räumen Kot und Kadaver weg. Sie machen viele kleine Dinge, die wir gar nicht sehen.
Von Bienen und Blümchen...
So erklären wir die Bestäubung. Beim Blütenbesuch übertragen Insekten den männlichen Pollen zur weiblichen Blüte. Die Pflanze kann sich vermehren. Zahlreiche Insekten sind dafür wichtig. Neben Hautflüglern wie Bienen und Wespen sind das vor allem Zweiflügler sowie Schmetterlinge. Sie bestäuben nicht nur Obst, sondern auch Gewürze sowie Kaffeepflanzen oder Vanille. Die Arbeit der Insekten steckt in mehr Produkten als man denkt...
Wieso gibt es weniger Insekten?
Es fehlt den Insekten an Lebensraum. Sie können sich anpassen, benötigen aber Nistplätze, Nahrung und Verstecke. Diese zerstört der Mensch durch Siedlungs- und Straßenbau, Landwirtschaft oder auch Lichtverschmutzung. Unsere Lebensweise gefährdet die Natur und damit letztlich auch uns selbst. Wir alle hängen von einer funktionierenden Natur ab. Es muss sich etwas ändern.
Der Instagram-Filter zur Ausstellung
Lasst den Hirschkäfer durch die Ausstellung krabbeln, macht einen Schnappschuss mit der Libelle oder beobachtet den Schmetterling beim Flug über die Industrielandschaft.